Inklusive Bildungsprozesse brauchen Gleichwertigkeit und Wertschätzung, Innovationen, Ressourcen, Motivation und engagierte Menschen
Wie können Bildungsprozesse in einer vielfältigen Gesellschaft inklusiv, konstruktiv und kooperativ gestaltet werden? Eine Fachtagung bot den Rahmen für einen Erfahrungs-austausch zwischen rund 80 Wiener Neustädter Bildungsinteressierten und den Bildungs-fachleuten Verena Plutzar und Ingeborg Gredler (Pilotprojekt Nahtstellenarbeit Kindergarten und Schule), Claudia Müller (Wiener Neudorfer Inklusionsprojekt), Elisabeth Allgäuer-Hackl (Fachstelle „okay.zusammen leben“ Vorarlberg), Andreas Bauer und Richard Klemenschitz (Volksschule Ortnergasse) sowie Gabriele Kaiblinger und Barbara Falkinger (Neue Mittelschule Selzergasse).
Mehrsprachigkeit gestalten, oder: Wer fürchtet sich vor der multilingualen Schule?
Der Umgang mit Mehrsprachigkeit war ein zentrales Thema, schließlich arbeiten manche TagungsteilnehmerInnen an Schulen, an denen bis zu dreißig Erstsprachen präsent sind. Neue Ideen sind daher gefragt. Auf reges Interesse stießen Unterrichtsmaterialien und konkrete Tipps, die von Andreas Bauer und Richard Klemenschitz vorgestellt wurden. Auch gilt es, konstruktiv mit den Bedenken umzugehen, die von Schulleitungen, KollegInnen oder Eltern geäußert werden. Klemenschitz dazu: „Manche Eltern mit Migrationshintergrund sahen anfangs nicht ein, warum ihr Kind in der Schule neben Deutsch auch die Erstsprache lernen soll – nun sind sie jedoch begeistert, denn so kann das Kind z.B. in den Ferien gutes Bosnisch mit den Großeltern reden!“ Eine wissenschaftliche Evaluierung der Universität Wien bestätigt den Erfolg des Konzepts: Die Förderung der Erstsprache bringt klare Verbesserungen in Bezug auf die Deutschkompetenz.
Individuelle Pädagogik in Zeiten der PISA-Tests?
Kontroversiell diskutiert wurde die Frage, ob ein inklusiver und individuell an die Person an-gepasster Zugang zu Pädagogik überhaupt mit standardisierten Bildungsstandard¬messungen á la PISA vereinbar sei. Falkinger und Plutzar äußerten Skepsis; Schulinspektorin Christine Pollak räumt zwar ein, dass mittlerweile ein Trend zur Testflut – eine „Testitis“ – vorherrsche, sieht diese Messungen jedoch als sinnvolles Instru¬mentarium zur Weiterentwicklung der Schulqualität. Allgäuer-Hackl gibt zu bedenken, dass die Tests einen einsprachigen Hintergrund der Kinder voraussetzen – mehrsprachige SchülerInnen schneiden daher oft schlechter ab, können aber ihre spezifischen Kompetenzen – wie etwa das Übersetzen oder das Umschalten zwischen Sprachen – nicht unter Beweis stellen. Mehrere DiskutantInnen merken kritisch an, dass manche Testfragen nichts mit der realen Lebenswelt ihrer SchülerInnen zu tun haben, was zu Benachteiligungen führen kann.
Gleichwertigkeit im Umgang und ein Bildungssystem ohne Minderwertigkeitsgefühle
Nicht zuletzt zeichnete sich als Fazit der Diskussion ab, dass inklusive Bildungsprozesse eine wertschätzende Haltung voraussetzen: „Beziehung ist die Grundlage des Lernens“ und „Es braucht die Begegnung auf Augenhöhe“, so Maria Zwicklhuber in ihrem Eingangs-statement. Fakt ist jedoch auch, dass es im Bildungssystem zahlreiche Hierarchien gibt: zwischen Kindergärten und Schulen, zwischen Gymnasien und Neuen Mittelschulen, auch hätten Muttersprachen- und BegleitlehrerInnen eine andere Position im Schulgefüge als reguläre KlassenlehrerInnen. Plutzar rät, hier sehr bewusst auf Ausgleich und Gleichwertigkeit im Umgang zu achten. Allgäuer-Hackl brachte Erfahrungen aus der Arbeit mit den Eltern mit: „Man muss zunächst einmal fragen, was können und sollen die Eltern leisten und was nicht, und dann, wie kann ich sie ins Boot holen. Wertschätzung und Offenheit sind dabei zentral.“ Bauer und Klemenschitz betonen, wie wichtig es ist, ein Vertrauensverhältnis aufzubauen, um auch sozial benachteiligten SchülerInnen und Eltern das Gefühl von Scham und Minderwertigkeit zu nehmen und sie zur Teilhabe an Bildung zu motivieren.
Die Wiener Neustädter Integrationsgespräche werden in Zusammenarbeit zwischen der Caritas Wien (Asyl & Integration NÖ) und der Stadt Wiener Neustadt veranstaltet und vom Land Niederösterreich, der niederösterreichischen Dorf- und Stadterneuerung, dem Europäischen Integrationsfonds und vom Bundesministerium für Inneres gefördert.
Alle Details zu den Integrationsgesprächen finden Sie unter: www.zusammenreden.net