Jugendstrafvollzug: „25 Punkte sind ein Punkt zu wenig“

Weißer Ring, Caritas und namhafte RechtsexpertInnen begrüßen 25-Punkte-Plan der Ministerin zur Reform des Jugendstrafvollzugs. „Wir vermissen jedoch einen zentralen  Punkt: Die Wiederrichtung des Jugendgerichtshofs“

„Dass sich die Ministerin nun den Mängeln im Jugendstrafvollzug annimmt, war höchst an der Zeit. Die angekündigten Maßnahmen weisen in die richtige Richtung. Sie greifen aber zu kurz. Oder um es anders zu formulieren: 25 Punkte sind ein Punkt zu wenig“, sagt Alexia Stuefer, Generalsekretärin der Vereinigung Österreichischer StrafverteidigerInnen in Anspielung auf den 25-Punkte-Plan zu Reform des Jugendstrafvollzugs, den Justizministerin Beatrix Karl nun präsentiert hat.

Stuefer, Caritasdirektor Michael Landau, Udo Jesionek vom Opferschutzverband Weißer Ring, Kinderpsychiater Ernst Berger und Bezirksrichter Oliver Scheiber schmiedeten vor knapp zehn Tagen spontan die „Allianz gegen Gleichgültigkeit“. Eine Allianz, die sich nach Bekanntwerden des Missbrauchsfalls in der Justizanstalt Josefstadt für drängende Reformen im Jugendrecht und im Jugendstrafvollzug einsetzt.

„Wir bleiben dabei: Kinder und Jugendliche gehören nicht ins Gefängnis. Aus diesem Grund glauben wir nach wie vor, dass der Jugendgerichtshof, der vor zehn Jahren Sparzwängen der schwarz-blauen Regierung zum Opfer fiel, wieder eingerichtet werden sollte“, sagt Caritasdirektor Michael Landau um sogleich zu ergänzen: „Ja, die jetzt angekündigten Reformen sind grundsätzlich zu begrüßen. Klar ist aber eben auch: Kinder und Jugendliche benötigen einen besonderen Schutz. In beengten Gefängnissen können sie Freiheit nicht lernen.  Das Wegsperren führt zum Gegenteil dessen, was eigentlich unser Ziel sein sollte – nämlich, dass diese Kinder und Jugendlichen wieder zurück in die Mitte der Gesellschaft finden.“ Stuefer ergänzt: „Wir benötigen einen Jugendgerichtshof mit umfassenden Kompetenzen anstelle eines neuen Gefängnisses, in dem Jugendliche nach wie vor gemeinsam mit Erwachsenen eingesperrt werden. Betreute Wohneinrichtungen mit fallweiser elektronischer Überwachung haben zum Regelvollzug zu werden. Länder wie Schweden, die Schweiz oder Italien leben auch seit Jahren sehr gut mit alternativen Modellen zur Untersuchungshaft bei Jugendlichen.“

Dass die Wiedererrichtung des vor zehn Jahren geschlossenen Jugendgerichtshofs im 25-Punkte-Papier Karls nicht vorgesehen ist, ist auch für Kinderpsychiater Ernst Berger ein schlechtes Zeichen: „Damit wird ignoriert, dass das Thema Jugendkriminalität insgesamt einer spezifischen Bewertung bedarf.“ Für Udo Jesionek, den obersten Opferschützer des Landes und Chef des Weißen Rings, gehen die Vorschläge der Justizministerin zwar grundsätzlich in die richtige Richtung, „allerdings stellen sie die Bedingungen, wie sie im einstigen Jugendgerichtshof gegeben waren, nur unzureichend wieder her – etwa was das Personal im Bereich der Sozialarbeit oder der psychologischen Dienste anbelangt. Der Plan die Jugendlichen künftig in einem eigenen Pavillon wieder als Anhängsel einer großen Anstalt unterzubringen, würde die Problematik nur räumlich verschieben.“

Oliver Scheiber, Leiter des Bezirksgerichts Meidling: „Es ist sehr positiv zu werten, dass die Ministerin nun etwa bei der Aus- und Fortbildung ansetzen möchte. Eine Justizakademie war ja bereits im Regierungsprogramm vorgesehen. Ich kann mich aber darüber hinaus der Forderung meiner KollegInnen nach einem neuen Jugendgerichtshof nur anschließen. Die Ablehnung durch die Ministerin ist für mich in dieser Frage nicht nachvollziehbar. Immerhin wurden sogenannte Jugendkompetenzzentren ja auch im Regierungspakt schon festgehalten.“

Offener Punkt „Taskforce“
Die Proponenten der „Allianz gegen Gleichgültigkeit“ würden sich auch wünschen, dass die Besetzung der von Justizministerin Karl eingesetzten Taskforce transparent gemacht wird. Immerhin ist es diese Taskforce, die in den nächsten Wochen zusätzliche Reformvorschläge für den Jugendstrafvollzug erarbeiten soll. „Diese Taskforce soll und darf nicht aus den üblichen Verdächtigen bestehen“, sagt Scheiber. „Es ist jetzt wichtiger denn je, über den eigenen Tellerrand zu blicken und externe – auch kritische – Expertise einzuholen“, betont auch Stuefer. Landau ergänzt: „Es wird wichtig sein, ExpertInnen aus dem Bereich der Jugendwohlfahrt mit an den Tisch zu holen. Aber auch am Beispiel der Schweiz  könnte man sich orientieren: Im sogenannten Maßnahmenzentrum für junge Erwachsene werden die Jugendlichen ohne Zäune, ohne Wachtürme und ohne Stacheldraht erfolgreich auf ein Leben in Freiheit vorbereitet.“ Einig sind sich alle Mitglieder der Allianz auch darin, dass der nun einsetzende Reformeifer der Ministerin grundsätzlich zu unterstützen ist. „Zentral wird aber sein, dass künftig bedeutend mehr Mittel für die Betreuung der Jugendlichen zur Verfügung gestellt werden. Dieses Bekenntnis fehlt bislang leider“, hält Stuefer abschließend fest.