Fehlende Sprachkenntnisse nicht die Wurzel allen Übels

Spannende Diskussion beim dritten Themenabend von „ZusammenReden“ in Neunkirchen

Jugendliche aus Zuwandererfamilien stehen in unserer Gesellschaft oft vor ganz speziellen Herausforderungen, wenn es um die Bewältigung des alltäglichen Lebens geht. Das österreichische Schulsystem bewältigt die Anforderungen einer multikulturellen Gesellschaft noch nicht zufriedenstellend. Rund 70 BesucherInnen verfolgten am 4. Mai in Neunkirchen den dritten von vier Diskussionsabenden der Neunkirchner Integrationsgespräche. Das Thema der Veranstaltung, die von der Caritas der Erzdiözese Wien (Asyl & Integration NÖ) gemeinsam mit der Gemeinde Neunkirchen organisiert wird, lautete „Jugend und Bildung“. Im Vereinslokal des Arbeiter-, Jugend- und Kulturvereins diskutierte Sprachwissenschaftlerin Katharina Brizić gemeinsam mit Barbara Fasan-Grill (Volksschullehrerin, Mühlfeldschule) und Veronika Baumkirchner (Projektleiterin NESIB). Geleitet wurde die spannende Diskussion von Birgit Kögler (Obfrau Verein Jugendförderung Neunkirchen).

„Die Sprache ist der Schlüssel zur Integration“, gab Volksschullehrerin Fasan-Grill gleich zu Beginn des Abends den Ton vor. „Das glaube ich nicht“, hielt Brizić dagegen. „Sprache ist nicht der Hauptgrund aller Probleme.“ Den sah die Sprachwissenschaftlerin vielmehr in der ethnischen Schichtung des österreichischen Bildungssystems. „Nur wenn Eltern viel Geld und Zeit in die Bildung ihrer Kinder investieren können, wird sich ein Bildungserfolg einstellen. Das ist eigentlich ein Skandal!“ Auch Baumkirchner, die mit ihrem Verein NESIB Jugendliche mit Migrationshintergrund beim Jobeinstieg unterstützt, benannte schlechte Deutschkenntnisse als Kernproblem in Integrationsfragen. „Es kann nur der integriert werden, der auch integriert werden will.“ „Eine sehr oberflächliche Sichtweise“, entgegnete Brizić. „Was ist faul am System? Diese Frage müssen wir uns stellen. Dann werden wir erkennen, dass die Probleme weitaus vielschichtiger sind. Fehlende Sprachkenntnisse sind zumeist nur eine Folgeerscheinung.“ Zur Frage der Gesamtschule meinte die Sprachwissenschaftlerin: „Grundsätzlich ein erfolgversprechender Zugang. Allerdings nur dann, wenn genug finanzielle Ressourcen zur Verfügung stehen.“

Das Publikum brachte sich anschließend engagiert in die Diskussion ein. Stadtrat Kautz ermutigte Eltern dazu, ihre Kinder auch in Schulen mit hohem Migrationsanteil zu schicken. „Davon werden letztendlich alle profitieren“, war sich auch Katharina Brizić sicher. Muttersprachlicher Unterricht in der Schule werde nur eine Stunde pro Woche angeboten. Das sei letztendlich nur ein Tropfen auf dem heißen Stein. Sie regte daraufhin an, muttersprachlichen Unterricht bereits im Kindergarten anzubieten. Abschließend meinte Brizić: „Pauschalurteile sind einfach, bringen aber nichts. Jeder von uns muss erkennen, wie er selbst Ungerechtigkeiten aufbrechen kann.“

Der letzte Abend der Neunkirchner Integrationsgespräche findet am 17. Juni 2011 im Kulturzentrum „Am Stiergraben“ in der Schulgasse 4 statt. Neben einer transnationalen Lesung der türkischstämmigen Autorin Seher Çakir gemeinsam mit David Jarju und Martin Just, einem Tandem (Gambia/Österreich) des Caritas-Projektes „Neuland“, gibt es Live-Musik mit alevitischen, kurdischen und türkischen Liedern sowie eine Ausstellung der georgischen Malerin Nia Kavelashvili. Beginn ist 18.30 Uhr.

Die Gesprächsreihe "ZusammenReden" findet in insgesamt acht niederösterreichischen Gemeinden statt und wird vom Land Niederösterreich, dem Bundesministerium für Inneres und dem Europäischen Integrationsfonds gefördert. Detailliertes Programm unter www.zusammenreden.net/neunkirchen