Ist Religion eine Frage der Integration?

Am 19. Mai fand nun bereits die vierte von fünf Diskussionsabenden der Badener Integrationsgespräche „ZusammenReden“ statt. Wiederum war der Saal, diesmal in der Wirtschaftshauptschule, zum Bersten voll und das Interesse aller Beteiligter am Thema groß.  Organisiert von Missing Link (der Caritas Wien in NÖ), dem Integrationsbeauftragten der Stadt Baden Ferdinand Türtscher und dem Verein Menschen.Leben wird bis Juni 2010 monatlich ausführlich über Themen debattiert, die die BewohnerInnen der Region bewegen. Gefördert werden die Gespräche vom Land Niederösterreich.

Am Podium diskutierten diesmal unter der Leitung des bekannten Journalisten und Autors Wolfgang Machreich: Der langjährige Redakteur der „Gemeinde“ Karl Pfeifer, der mit seiner Familie 1938 aus Baden vertrieben wurde und der sich als Kind nach Palästina durchschlagen konnte, Ersan Palaz von der Türkisch-Islamischen Kultusgemeinde ATİB (Bad Vöslau) und die bosnisch-österreichische Politikwissenschafterin und Philosophin Dunja Larise von der Universität Wien.

In seinen Begrüßungsworten stellte Hofrat Hanspeter Beier von der Niederösterreichischen Landesregierung fest, dass bezüglich der „Burka-Diskussion“ eines zu sagen sei: „Kleidungsvorschriften haben nichts mit Integration zu tun!“ Außerdem sei Integration ein wechselseitiger Prozess, der auch die Österreicher fordere, und der nicht mit Forderungen nach Assimilation verwechselt werden dürfe. 

Zur Frage ob totalverschleierte Frauen mit einem Kleidungsverbot belegt werden sollen wie in Frankreich oder Belgien, äußerte sich das Podium einhellig: prinzipiell bringen Kleidungsvorschriften wenig und stärken nicht prinzipiell und automatisch Frauenrechte. Jedoch, so der Konsens am Podium: Im öffentlichen Dienst soll eine vollverschleierte Frau nicht arbeiten dürfen. „Zu Hause soll sich jeder kleiden wie er oder sie will“, so Ersan Palaz vom Moscheeverein in Bad Vöslau (ATİB), „sie können nackt oder in der Burka durch die Wohnung laufen. Aber in der Öffentlichkeit bin ich gegen Totalverschleierung.“

Dunja Larise äußerte sich besorgt über den sogenannten „cultural turn“, der seit dem Ende des Kalten Krieges eine Diskussion befördere, bei der es permanent um verschleiernde Begriffe wie „Kultur“, „Tradition“, „Religion“ oder gar „Identität“ ginge. „Diese Begriffe sind in Mode, obwohl  niemand weiß, was sie überhaupt bedeuten.“ Dabei reden alle am Thema vorbei: die Probleme unserer heutigen Gesellschaft, von Migranten wie auch Mehrheitsösterreichern, wurzeln in erster Linie in der globalen ungerechten Verteilung von Reichtum sowie von politischer Partizipationsmöglichkeiten, kritisiert Larise.
Ersan Palaz wiederum zeigte sich besorgt über die „Islamophobie“, die seit den Terroranschlägen auf New York im Jahr 2001 grassiere. Dunja Larise widersprach an dieser Stelle mit Nachdruck: „Islamophobie ist ein völlig falsches Wort. Der Hass auf Muslime ist eingeschrieben in der Geschichte des europäischen Rassismus, er hat aber nichts mit der Religion zu tun!“ Als eindrückliches Beispiel erzählt Larise von einem bekannten Orientalisten der Universität Wien, der den Islam seit Jahrzehnten studiere, liebe und bewundere. Ein Spezialist. Neben seiner Tätigkeit an der Universität ist er Funktionär einer rechtsextremen Parlamentspartei und hetze gegen Muslime. „Und zwar weil er ein Rassist ist, aber nicht weil er den Islam hasst.“ Statt von „Islamophobie“ solle man von Rassismus gegen Muslime sprechen, das treffe die aktuelle und real vorhandene Diskriminierung viel besser.

Karl Pfeifer erzählte, wie ihn „gleich hier um die Ecke des Dobblhofparkes“, kurz vor seiner Flucht aus Baden, die Hitlerjungen als „Saujud“ beschimpften und verprügelten. „Die österreichischen Antisemiten wollten mich und meine Familie vernichten, und zum Teil ist ihnen das auch gelungen. Ich selbst habe mit Glück überlebt.“

Brigitte Gumilar, Schuldirektorin der Wirtschaftshauptschule, berichtete von Dutzenden muslimischen Mädchen, deren Eltern ihnen unter verschiedenen Vorwänden die Teilnahme an Sportschulwochen und Schwimmunterricht verbieten würden. Am Geld könne es nicht liegen, denn es gäbe Förderungen und die Schule unterstütze auch finanziell Schwache. „Ich bin zwar gegen Sanktionen, aber ich muss zugeben, dass wir dem Problem machtlos gegenüberstehen. Nur durch Aufklärung wird sich langfristig etwas ändern.“

Die gesamte Veranstaltung zum Nachhören sowie alle weiteren Termine und Infos finden Sie unter www.zusammenreden.net/baden.

Das nächste Gespräch findet in Baden am Mittwoch, den 9. Juni, um 19.00 Uhr im Theater am Steg, Johannesgasse 14, statt. Thema: Bildung.