Pressefahrt zum Start der diesjährigen Kampagne für die Inlandshilfe - Caritas-Präsident Küberl mahnt Aufmerksamkeit für wachsende Armut in Österreich ein - Wiener Caritasdirektor Landau: Anteil junger Menschen unter Bedürftigen steigt =
Wien, 30.10.2009 (KAP) "Deine Spende kann Wunder wirken": Mit diesem Slogan lenkt die Caritas bei ihrer diesjährigen Inlandshilfe-Sammlung die Aufmerksamkeit auf die wachsende Armut in Österreich und wirbt um Solidarität in Form von Spenden. Caritas-Präsident Franz Küberl sagte bei einer Pressefahrt, die am Donnerstag zu Caritas-Einrichtungen in Wien, der Steiermark und Oberösterreich führte, dass die derzeitige Wirtschaftskrise den Trend verstärke, "auf sich selbst zu schauen". Demgegenüber wolle die Caritas bewusst machen, dass schon kleine Spenden große Wirkung haben können. "Für dich ist es eine Winterjacke. Für mich ist es ein kleines Wunder", heißt es zum Foto eines Kleinkindes auf einem der Plakate, mit denen die Caritas im November österreichweit um Solidarität wirbt.
Die Caritas wirke in vielfältiger Weise an "Problemzonen" der Gesellschaft, die "nicht ausgeblendet werden" dürften, so der Appell Küberls. Dass Spendengelder effizient und oft existenzsichernd eingesetzt werden, wurde bei der Pressereise am Donnerstag vor Augen geführt: im "Juca", dem Haus der Caritas für obdachlose Jugendliche in Wien, im Grazer "Marienstüberl", wo neben dem leiblichen Hunger auch jener nach sozialen Kontakten gestillt wird, im "Haus Elisabeth" am Stadtrand von Graz, wo Frauen und ihre Kinder in Krisensituationen Unterkunft finden, und im Hartlauerhof in Asten bei Linz, wo vielfach problembeladenen Männern ein Neustart ermöglicht wird. Neben den Verantwortlichen dieser Einrichtungen standen auch die Caritasdirektoren der jeweiligen Diözesen - Msgr. Michael Landau (Erzdiözese Wien), Mathias Mühlberger (Linz) und Franz Küberl (Graz) - Rede und Antwort über die auch durch Spendengelder ermöglichten Hilfsangebote für notleidende Kinder, Frauen und Männer in Österreich.
Dass das soziale Netz hierzulande für viele nicht engmaschig genug ist, veranschaulichte Caritas-Präsident Küberl mit folgenden Zahlen: Fast 400.000 Österreicherinnen und Österreicher leben laut "Statistik Austria" in manifester Armut, weitere 600.000 sind armutsgefährdet und könnten bei Krankheit, Arbeitsplatzverlust oder Scheidung endgültig in akute Not geraten. Jede fünfte Familie mit drei oder mehr Kindern ist armutsgefährdet, noch exponierter sind hier Alleinerziehende (32 Prozent sind armutsgefährdet) und Migranten (24 Prozent). Besonders bedrückend: Das Armutsrisiko von Kindern und Jugendlichen liegt bei 15 Prozent: 260.000 der jungen Österreicherinnen und Österreicher unter 20 ist von Armut bedroht, 100.000 leiden akut darunter.
"Gesicht der Armut" wird immer jünger
Jenseits von Statistiken hat Armut "immer ein Gesicht", unterstrich Caritasdirektor Landau beim Besuch des Wiener "Juca"; und "immer öfter ist es das Gesicht eines jungen Menschen". Zuletzt sei der Anteil der Obdachlosen unter 30 in Wien stetig gestiegen, bereits ein Drittel der Klienten bei der Caritas-Erstanlaufstelle P7 gehört dieser Altersgruppe an. Gerade in der Wirtschaftskrise zeigt sich nach den Worten Landaus: "Junge Menschen, vor allem schlecht ausgebildete, haben heute sehr oft keine Perspektiven". Sie in ihrer Not allein zu lassen, könne sich Österreich sowohl gesellschaftspolitisch als auch ökonomisch "nicht leisten", betonte er.
Im "Juca" unterstützt ein Caritas-Sozialarbeiterteam wohnungslose, oft verschuldete, suchtkranke oder kriminell gewordene, psychisch angeschlagene junge Erwachsene zwischen 18 und 30 Jahren. Vorrangiges Ziel ist laut Hausleiter Michael Zikeli, dass die jungen Leute sich wieder an einen geregelten Tagesablauf gewöhnen. In einer hauseigenen Werkstätte, in der Lautsprecher und Hausschuhe produziert werden, können die Bewohner erste Schritte tun und Erfolgserlebnisse sammeln. Die Betreuer bieten aber auch Unterstützung bei rechtlichen, sozialen und finanziellen Problemen sowie bei der Bewältigung persönlicher Krisen.
Not muss auch strukturell bekämpft werden
Kritik äußerte Landau an der "härter werdenden politischen Debatte" über Armut: Die "aktuelle Missbrauchsdebatte rund um ein Transferkonto" wecke den Eindruck, die politisch Verantwortlichen seien "auf einem Auge blind", weil sie nur auf die Schwachen in der Gesellschaft schauen. Wörtlich meinte der Wiener Caritasdirektor: "Ich würde mir ebenso klare Worte aus der Bundesregierung wünschen, wenn beim "Buwog"-Verkauf für 14-tägige Beraterleistungen 9,6 Millionen Euro an Steuergeld bezahlt werden - dazu fehlt offensichtlich der Mut". Dass die Caritas ihr Augenmerk nicht nur auf Nothilfe, sondern auch auf politische Armutsbekämpfung legt, unterstrich Landau mit der Forderung nach einer "umfassenden Verteilungs- und Gerechtigkeitsdebatte, die alle Einkommen - d.h. neben Sozialleistungen auch Erwerbs- und Kapitaleinkommen -miteinbezieht".
Eine Diskussion "auf dem Rücken der Ärmsten, die unerträglich ist", ortet der Wiener Caritasdirektor auch beim Thema Mindestsicherung. Angesichts der Tatsache, dass derzeit auf einen offenen Arbeitsplatz rund 10 Jobsuchende kommen, werde er "wütend" bei Aussagen wie "wir sind für jene da, die früh aufstehen, um zur Arbeit zu gehen", so Landau wörtlich.
Caritas-Präsident Küberl kritisierte, dass die längst beschlossene bedarfsorientierte Mindestsicherung derzeit in der "Warteschleife" ist und noch immer kein Gesetzesentwurf dazu vorliegt. Die Regierung müsse "Gas geben", um die geplante Umsetzung mit Jahresbeginn 2010 in die Wege zu leiten. Österreich brauche endlich ein vereinfachtes Sozialsystem mit bundesweit einheitlichen, transparenten Regeln, die Einrichtung von Anlaufstellen für alle Sozialleistungen nach dem "One-desk-Prinzip" sowie einen Rechtsanspruch statt der bisherigen "Kann-Leistung" bei der Sozialhilfe. Wichtig sei auch die Anbindung der Mindestsicherung an den Arbeitsmarkt, so Küberl beim Besuch des Grazer Marienstüberls.
"Warmes für den Magen und für die Seele"
Diese Begegnungsstätte in der Grazer Keplerstraße 82 dient Menschen am Rand der Gesellschaft als Treffpunkt, an dem sie "Warmes für den Magen und für die Seele" bekommen. Täglich kommen bis zu 200 Menschen, um unter der manchmal durchaus auch strengen Obhut von Schwester Elisabeth Gruber für einige Zeit in eine Atmosphäre einzutauchen, in der sie angenommen werden, wie sie sind. Ihnen wird hier auch die Möglichkeit geboten, Wäsche zu waschen oder sich kostenlos mit neuem Gewand zu versorgen. In den Obergeschossen des Sozialzentrums bieten Sozialberater der Caritas Unterstützung, um die schwierigen persönlichen Lebenssituationen positiv zu verändern; es gibt aber auch medizinische Versorgung für nicht Krankenversicherte.
Auch das "Haus Elisabeth" am Westrand von Graz bietet Geborgenheit und Hilfe: Es ist Anlaufstelle für Frauen - und oft auch ihre Kinder -, die nicht wissen, wo sie die Nacht verbringen können bzw. die aufgrund einer schwierigen Lebenssituation vorübergehend eine Unterkunft brauchen. Auch hier sind die Problemlagen vielschichtig, berichtete Leiterin Maria Freidl: Gewalt, Sucht, Geldnot, psychische Beeinträchtigungen prägen meist den Alltag der Gäste. Die Notschlafstelle ist rund um die Uhr geöffnet und bietet bis zu 14 Frauen und sechs Kindern Platz. In der Wohngemeinschaft des "Hauses Elisabeth" leben maximal sechs Frauen und drei Kinder bis zu einem Jahr. Neben der Soforthilfe - Schlafplatz, Nahrung, Kleidung und Hygieneartikel - gehe es in einem zweiten Schritt darum, gemeinsam mit den Frauen deren Probleme abzuklären und sie individuell zu beraten.
Von Simone di Pauli, einer 47-jährigen ehemaligen Bewohnerin, erfuhren die Journalisten, dass ein Neustart gelingen kann: 16 Jahre sei sie verheiratet gewesen, bis sie sich trotz ihrer fünf Kinder von ihrem "sehr cholerischen" Ehemann trennte und im "Haus Elisabeth" Unterschlupf fand. Jetzt absolviert sie eine Ausbildung als Köchin und richtet Schritt für Schritt die im September bezogene eigene Kleinwohnung ein.
Neustart mit kreativem Handwerk
Letzte Station der Pressefahrt war der Hartlauerhof, ein Vierkanthof in Asten bei Linz, der bis zu 12 Männern Wohn- und Lebensraum bietet. Der Linzer Caritasdirektor Mathias Mühlberger beklagte fehlenden leistbaren Wohnraum in Oberösterreich: "Bei mehr als einem Drittel der Vorsprachen in den Caritas-Beratungsstellen geht es darum, dass die Klienten ihre Wohnkosten nicht mehr bestreiten können". Im Hartlauerhof können obdachlos gewordene Männer in Werkstätten einer regelmäßigen Beschäftigung mit den Materialien Holz und Metall nachgehen. Die Produkte wie Mobiliar, Obstschalen, Bienenhäuser oder Metallskulpturen sind durchwegs Unikate und finden in der Öffentlichkeit großen Anklang, so Projektleiter Ulrich Vollmer. Im kreativen Gestalten zeige sich, "welche Potenziale in jedem stecken, wenn man ihm nur die Chance gibt, ihn fördert und etwas tun lässt". Vollmer gestand, bei saloppen Reden über die "soziale Hängematte" angeblich arbeitsscheuer Menschen "ärgerlich" zu werden. Denn er wisse um das ehrliche Bemühen seiner Klientel, die einen "schweren Rucksack" an Problemen mit sich herumschleppen muss. Auch diese Menschen hätten ein Recht auf ein Leben in Würde, umschrieb er die Caritas-Philosophie.
Der österreichische Sozialstaat komme seiner Verantwortung für Menschen in Not nicht immer nach. Obwohl die Caritas kompetent einspringt, bezeichnete es Franz Küberl als Missstand, dass "vom Bodensee bis zum Neusiedlersee Hilfesuchende von Behörden zuerst zur Caritas geschickt werden". Im Vorjahr erhielten 41.000 Menschen in den Caritas-Sozialberatungsstellen finanzielle Hilfe und Beratung. "Die Notlagen werden schlimmer", so Küberl: "Fragten die Menschen noch vor einigen Jahren wegen der Finanzierung des Schulskikurses an, kommen sie heute, weil sie kein Geld für Essen, Miete oder Heizmaterial haben". (Spenden: Kto. Nr.: PSK 7.700.004, BLZ 60.000; Kennwort: Inlandshilfe; Online-Spenden: www.caritas.at).